Bundesgerichtshof: Grundsatzurteil zur Eigenbedarfskündigung

Der Bundesgerichtshof hat in zwei aktuellen Entscheidungen Amts- und Landgerichte ermahnt, über Eigenbedarfskündigungen nur nach sorgfältiger Prüfung der widerstreitenden Interessen von Vermieter und Mieter zu entscheiden. Wir stellen Ihnen nachstehend insbesondere einen der beiden Fälle näher vor, weil er von großer Bedeutung für die Praxis ist.

Der Fall

Die inzwischen 81-jährige Beklagte ist seit nunmehr 45 Jahren Mieterin einer etwa 73 m² großen Dreizimmerwohnung in Berlin, die sie mit ihren beiden über 50 Jahren alten Söhnen bewohnt.

Der Kläger, der mit seiner Ehefrau und zwei Kleinkindern bislang zur Miete in einer 57 m² großen Zweizimmerwohnung lebt, hat die Wohnung im Jahre 2015 zwecks Eigennutzung erworben.

Der vom Kläger ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung widersprach die Beklagte, weil ihr ein Umzug aufgrund ihres Alters, ihrer Verwurzelung in der Umgebung sowie einer Demenzerkrankung nicht zumutbar sei. Nach einem von ihr vorgelegten Attest würde ein Umzug zu einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führen.

Das Berufungsgericht hat die Räumungsklage abgewiesen. Zwar hat es die Eigenbedarfskündigung des Klägers für wirksam erachtet, hat jedoch wegen eines von ihm bejahten Härtefalls (§ 574 Abs. 1 BGB) bestimmt, dass das Mietverhältnis der Parteien auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werde.

Die Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen.

Da sowohl auf Seiten des Vermieters als auch des Mieters grundrechtlich geschützte Belange (Eigentum, Gesundheit) betroffen sind, sei eine umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie eine besonders sorgfältige Abwägung erforderlich, ob im jeweiligen Einzelfall die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses diejenigen des Vermieters an dessen Beendigung überwiegen.

Ein hohes Alter des Mieters oder eine längere Mietdauer kann nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht generell dazu führen, dass die Interessen des Mieters überwiegen.

Werden vom Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend gemacht, haben die Gerichte hierüber zukünftig ein Sachverständigengutachten einzuholen. Außerdem sei zu prüfen, ob sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen mittels Unterstützung durch das persönliche Umfeld des Mieters bzw. durch begleitende ärztliche bzw. therapeutische Behandlungen mindern lassen.

Fazit

Bei der Beurteilung einer Eigenbedarfskündigung verbietet sich jede "einfache", schematische Lösung. Mit der besprochenen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof auch der von der Mietberufungskammer 67 des Landgerichts Berlin vertretenen Linie, wonach allein ein hohes Alter und eine lange Mietdauer stets zur Annahme eines Härtefalls führen soll, eine eindeutige Absage erteilt. Die Instanzgerichte werden zukünftig sehr sorgfältig die von beiden Parteien vorgebrachten Argumente zu prüfen haben.

Dies gilt im Übrigen, wie der Bundesgerichtshof in einer am gleichen Tage verkündeten Entscheidung betont hat, auch für vom Mieter vorgebrachte Indizien, die auf eine Vorspiegelung des Eigenbedarfs durch den Vermieter hindeuten. In solchen Fällen könne nicht ohne vorherige Beweisaufnahme entschieden werden.

Fundstelle: Urteile des Bundesgerichtshofs vom 22. Mai 2018, Aktenzeichen: VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17; Presseerklärung des Bundesgerichtshofs Nr. 068/2019 vom 22. Mai 2019

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